Dem Pfingstereignis war die Himmelfahrt vorausgegangen, der Entzug des Christus-Wesens, eine Zeit größten Schmerzes. Die Jünger waren in sich gegangen, hatten all das Erlebte und Versäumte zu erinnern versucht. Dann hatten sie Hilfe vom Geist der Wahrheit (Joh. 15, 26) erfahren und waren an Pfingsten zu sich und zu Christus gekommen, in einem existenziellen Erwachen. In des Geistes Weltgedanken erwachet die Seele.1
Sie fühlten tatsächlich, wie wenn aus dem Weltenall niedergestiegen wäre auf sie etwas, was man nur nennen könnte die Substanz der allwaltenden Liebe. Wie gleichsam von oben herab befruchtet durch die allwaltende Liebe und wie auferweckt aus dem geschilderten traumhaften Lebenszustand, so fühlten sich die Apostel. Wie wenn durch alles dasjenige, was als die ursprüngliche Kraft der Liebe, die das Weltenall durchdringt und durchwärmt, sie auferweckt worden wären, wie wenn diese ursprüngliche Kraft der Liebe in die Seele eines jeden Einzelnen sich gesenkt hätte, so kamen sie sich vor. 2
Eines jeden Einzelnen – die feurigen Zungen gingen auf das Haupt der Jünger nieder, in ihre Einzelseelen. Der Christus-Impuls individualisierte sich – und die Jünger begannen ihr Werk, vereint und doch aus der Kraft ihrer jeweiligen Individualität. Von dem Pfingstereignis aus ergießt sich der Strom der Christus-Kraft. 3
1 Rudolf Steiner: GA 268, 1999, S. 241
2 Rudolf Steiner: GA 148, 1992, S.
3 Ebd., S. 22 über die Erde hin…, S. 24
Pfingstspruch
Wo Sinneswissen endet,
Da stehet erst die Pforte,
Die Lebenswirklichkeiten
Dem Seelensein eröffnet;
Den Schlüssel schafft die Seele,
Wenn sie in sich erstarket
Im Kampf, den Weltenmächte
Auf ihrem eignen Grunde
Mit Menschenkräften führen;
Wenn sie durch sich vertreibet
Den Schlaf, der Wissenskräfte
An ihren Sinnesgrenzen
Mit Geistesnacht umhüllt.
Quelle: Rudolf Steiner, GA 272, Vortrag vom 22. Mai 1915, 1981, Seite 118 (Pfingstspruch auch in: GA 40, 1998, Seite 87)